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In
zwei großen Schlachten werden im August und September 1914 die
in Ost- preußen die russischen Angriffsarmeen zerschlagen. Ein greiser
General wird zum „Sieger von Tannenberg" verklärt und erhält
den Marschallstab. Dem deutschen Sieg bei Tannenberg wird von den Zeitgenossen
eine schicksalhafte Größe beigemessen. Militärisch bedeutend,
aber nicht wirklich entscheidend, liegt die wirkliche Bedeutsamkeit der
Schlacht von Tannenberg im Aufstieg des siegreichen Generals, der später
als Chef der Obersten Heeresleitung und noch später als greiser Präsident
einer jungen Republik das Schicksal der Nation mehrfach nachhaltig entscheiden
wird.
Zunächst lief alles nach Plan- und
zwar im Wortsinn. Der deu- tsche Generalstab baute seine Planungen auf
die Einschätzung auf, daß mit einem Zweifrontenkrieg zu rechnen
war, aufgrund der Schwerfälligkeit des russischen Mobilmachungsapparates
aber mindestens vier, womöglich sogar sechs Wochen bis zur vollständigen
Angriffsbereitschaft des Gegners erforderlich seien. In dieser Frist sollte
jedoch der Hauptgegner Frankreich bereits geschlagen sein, so daß
die Truppen im Osten zur Verfügung ständen. Die Planungen zu
einem Krieg im Osten waren defensiver Natur; zudem wurde erwartet, daß
sich der Hauptschlag der Russen gegen die verbündete Donaumonarchie
richten würde.
Die Doppelmonarchie ging davon aus, daß die
Russen im Süden zur Unterstützung der Serben angreifen würden,
und richteten sich in Galizien zur Defensivverteidigung aus. Die Russen
selbst hatten ihren Kriegsplan mit dem französischen Generalstab abgesprochen.
Hier wurde von einem deutschen Vormarsch nach Frankreich hinein ausgegangen,
un die Russen sollten zur Entlastung mit zwei Armeen den deutschen Gegner
zuerst angreifen, und zwar mit allgemeiner Stoßrichtung Berlin
zunächst in Schlesien und Ostpreußen ansetzend.
Und während plangemäß im Westen
die große Entscheidungs- schlacht tobte, stand im Osten als Deckung
lediglich die 8.Armee. Die preußischen Festungen wurden für
den Verteidigungsfall kriegsmäßig besetzt. Dem deutschen Befehlshaber
Maximilian von Prittwitz standen insgesamt ca. 200.000 Mann zur Verfügung,
bestehend zur Hälfte aus Landwehreinheiten,
dazu 50.000 Mann Landsturm, das letzte Viertel setzte sich aus aktiven
Truppen und sonstigen Einheiten zusammen.
Die Russen greifen dann früher als erwartet
an, obwohl die beiden Angriffsarmeeen noch nicht vollständig
ihre Mobilisierung abgeschlossen haben. Dies aufgrund des Drängens
der verbündeten Franzosen, weil im Westen gerade die Entscheidung
erwartet wird. Der Krieg im Osten wird am 4. August durch deutsche Truppen
eröffnet, die in Erkundungsvorstößen die Grenze überschreiten.
der Krieg ergeht sich in Grenzgefechten, Patrouillen und Scharmützeln,
bis es am 17. August bei Stallupönen zu einem erfolgreichen
Angriff der Deutschen gegen die aufmarschierte russische Armee unter von
Rennenkampf kommt. Durch den Erfolg ermutigt, greift v. Prittwitz 15
km westlich, bei Gumbinnen, an. Vom 19. bis 20. dauern die für beide
Seiten verlustreichen Kämpfe an, dann bricht v. Prittwitz die Schlacht
ab , weil er eine Umfassung von der nunmehr von Süden vorstoßenden
2. russischen Armee unter Samsonow fürchtet. Er will den Rückzug
anordnen, und zwar bis hinter die Weichsel. Ein Rückzug im Notfall
war ja bereits 1905 im Generalstab eingeplant.
Als dem Großen Hauptquartier die Nachricht
zuteil wurde, daß unter allen Umständen der Rückzug auf
die Weichsel erforderlich sei, und Ostpreußen preisgegeben werden
müsse, machten sich Zweifel and der Führung im Osten breit, als
aber auf Nachfragen von dieser erklärt wurde, man könne „..unter
Umständen" ohne Rückzug doch den Russen standhalten, wurden
v. Prittwitz und sein Stabschef v. Waldersee mit sofortiger Wirkung abgelöst.
Zu kritisch war die Lage
und vor allem die Stimmung, denn abgesehen von einigen ersten Grenzgefechten
im Elsaß und einem kleinen Gebietszipfel nahe der schweizer Grenze
fand hier der Krieg auf deutschem Boden
statt. Vom „Russeneinfall" in Ostpreußen wurde gesprochen, und bis
zu 200.000 Zivilisten befanden sich auf der Flucht nach Westen vor den
anrückenden Russen. Während sich der überwiegende Teil der
russischen Truppen diszipliniert und korrekt gegenüber der Zivilbevölkerung verhielt,
kam es vielerorts zu Übergriffen, insbesondere durch
Kosaken und sibirische Truppen. Beim Einmarsch und mehr
noch beim Rückzug kam es zu Mord und Totschlag, Notzucht, Plünderung
und Brandschatzung- eben das ganze Repertoire, das man von den Kosaken
seit deren letzten Einmarsch im siebenjährigen Krieg und aus den Befreiungskriegen (als Verbündete!) kannte.
Insgesamt befanden sich
nach Schätzungen bis zu 200.000 Menschen auf der Flucht, nach dem
Abzug der Russen stellte man fest, daß in den vier Wochen der
Besatzung 1.620 Zivilisten ermordet und 433 verwundet wurden. 17.000 Häuser,
Höfe und Gehöfte waren (hauptsächlich beim Rückzug)
in Brand gesteckt worden. 9.500 Zivilisten wurden beim russischen Rückzug
verschleppt und nach Sibirien deportiert, von denen ein großer Teil
umkam; die letzten verschleppten Zivilisten kehrten erst 1922 mit den letzten
Heimkehrertransporten nach Deutschland zurück.
Ein seltsames Paar betritt die Bühne- Ludendorff und
Hindenburg.
Als
Nachfolger für v.Prittwitz bestimmte man einen entschlosseneren Mann,
den General Erich Ludendorff. Der schien erste Wahl zu sein, weil er aktuell
bei der Eroberung Lüttichs und seiner Forts besonderen Einfallsreichtum
und Kaltblütigkeit gezeigt hatte. Als Kommandeur einer Infanteriebrigade
hatte er mit seinem Pkw die Infanteriespitze unwissentlich überholt,
sich verfahren und stand dann allein vor dem Tor eines Außenforts,
an das er energisch mit dem Degen klopfte, um sich Einlaß zu verschaffen.
Er wähnte das Fort in deutscher Hand, was aber nicht zutraf. Als er
seinen Irrtum erkannte, forderte er die belgische Besatzung ebenfalls energisch
zur Übergabe aufgefordert, die auch geschah, da man nicht glaubte,
daß ein deutscher General allein vor dem Tor stehen könnte.
Dafür wurde er mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet. Ob sein
Fahrer eine Auszeichnung erhielt, ist nicht überliefert, er tritt
auch in dem oft kolportierten Husarenstück nicht weiter in Erscheinung.
Ludendorff, 1865 in Posen als Sohn eines
Rittergutsbesitzers geboren, trat 1877 als Kadett in das Heer ein, und
durchlief eine Karriere ohne besondere Höhen und Tiefen- Generalstabsdienst
1882-1904, ab 1912 Regimentskommandeur, ab 1914 Brigade- kommandeur.
Außer dem gezeigten Wagemut und der Kühnheit wurde er als
eifrig, arbeitssam und entscheidungsfreudig beurteilt-
in der Gesamtheit der richtige Mann zur rechten
Zeit.
Zum Armeekommandeur fehlte ihm allerdings das richtige
Dienstalter. Daher suchte man für Ludendorff einen Proforma-
Vorgesetzten, der bereit war, unter ihm zu dienen. Den fand man in dem General Paul von Beneckendorf
und von Hindenburg, der 1911 seinen Abschied genommen hatte und bis dato auch nicht reaktiviert war. Hindenburg traute man diese Rolle zu, weil er über zuwenig eigenen Ehrgeiz verfügte, und als solider, aber einfallsarmer
Militär galt. Als sehr phlegmatisch eingestuft, wurde ihm auch noch
völlige Nervenlosigkeit attestiert. Hindenburg, 1847 geboren, nahm
1866 als Leutnant in der Schlacht bei Königgrätz teil, auch an
der Schlacht bei Gravelotte 1870. Nachfolgend Truppen- und Stabs- kommandierungen
im Großen Generalstab und Kriegsministerium, kommandierender General
des IV. Armeekorps, 1911 der Abschied.
Der Pensionär sitzt seit Kriegsbeginn wie
auf heißen Kohlen zuhaus,
und wartet auf ein Kommando. Am 22.August wird
Hindenburg zum Kommandeur der 8.Armee ernannt, Ludendorff zum Stabschef.
Ludendorff prescht sofort im Auto von der
belgischen Front ins Große Hauptquartier nach Koblenz, eine Viertelstunde
später sitzt er im Sonderzug nach Ostpreußen. Drei Stunden später
hält der Zug in Hannover, dort wartet auf dem Bahnsteig schon der
(telegrafisch) ernannte neue Führer der 8.Armee. Beide Herren kennen
sich noch nicht; aber sie haben noch 12 Stunden Zeit, ehe der Zug in Marien-
burg ankommt. Noch während der Zugfahrt sollen der 67jährige
Kommandeur und der 49jährige Stabschef den Plan gefaßt haben, anzugreifen
und zu schlagen. Tatsächlich jedoch ist die Vorarbeit bereits vom
Stab der 8.Armee geleistet worden.
Wenn Hindenburg später erkärt: „Ich habe
mein Verhältnis zu General Ludendorff oft als das einer glücklichen
Ehe bezeichnet", mag das wohl zutreffen- eine seltsame Konstellation, in
der nach außen hin, wie in mancher Ehe, zunächst nicht erkennbar
ist, wer die Hosen anhat. Beide ergänzen sich ideal- der eine ist
ein Machtmensch, der ohne äußerliche Anerkennung auskommt, der
andere kann gut mit dem Ruhm leben, ohne daß er ihm zu Kopf steigt.
Eine symbiotische Zweckgemeinschaft. Zwei Jahre später werden sie
gemeinsam die OHL übernehmen- Hindenburg als Chef, Ludendorff als
sein Erster Generalquartiermeister."
Am Kriegsschauplatz kommt beiden noch der Zufall
zu Hilfe. Der Sieg von Tannen- berg ist später der Genialität Hindenburgs
und seines Stabschefs Ludendorffs angerechnet worden, oft wird auch das
sehr schlechte persönliche Verhältnis der beiden russischen Aemeekommandeure
Rennenkampf und Samsonow als ein schlachtentscheidender Faktor genannt-
wie wir heute wissen, gründet sich der Sieg letztendlich nicht auf
die Genialität von Plisch und Plum, und auch der Haß zwischen
den beiden russischen Kommandeuren hat sie natürlich nicht von einer
Zusammenarbeit abgehalten. Entscheidend ist Entschlossenheit von Hindenburg
und Ludendorff, in der schwierigen Lage konsequent auch alles zu riskieren.
Der Zufall hilft in Form abgefangener russischer Funksprüche, aus
denen die Absichten und Bewegungen des Gegners hervorgeht- die Russen
senden unverschlüsselt.
Innerhalb einer Woche wird zum Aufmarsch gegen
Samsonow im Süden alles herangeführt, was kämpfen kann-
mit der Eisenbahn
über Königsberg nach Preußisch-Eylau,
aus anderen Richtungen in ununterbrochenen Gewaltmärschen. Eine Einheit
marschiert in 40 Stunden 120 km, anderen werden tägliche Marschleistungen
von bis zu 65 km abverlangt. Zwischen dem 28. und dem 30. August tobt die
Schlacht; zuletzt gelingt die Einkesselung des Großteils der Armee
Samsonows. Die Armee Rennenkampf steht 20 km vor dem Kessel, weiß
es aber nicht- vollkommene Unkenntnis der Lage. Da ist es zu spät-
Rennenkampf zieht sich zurück, um der Umfassung zu entgehen, was im
auch gelingt; in in einer Schlacht an den masu- rischen Seen wenige Tage
später wird seine Armee zwar nicht vernichtend, aber empfindlich geschlagen.
Der
Mythos des großen Sieges bei Tannenberg wird geboren, und seine
Personifizierung ist Hindenburg. Über 150.000 Gefangene werden gezählt,
50.000 Tote, und das eroberte Material ist gewaltig. Im Reich läuten
die Glocken, und dabei geht ganz unter, daß im Westen an der Marne
gerade der Befehl zum Rückzug erteilt wurde; gleichzeitig findet bei
Lemberg eine Entscheidungsschlacht statt, die mit einem großen russischen
Sieg endet- die k.u.k. Armee wird in der Substanz angeschlagen und sich
davon nie mehr erholen können.
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