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Peter Bamm: Die unsichtbare Flagge

Die Kompanie wurde auf dem Bahnhof von Wladislawowka verladen.
Auf dem Bahnhof lag, ebenfalls zur Verladung bereit, ein Depot der
Luftwaffe mit Winterbekleidung von so luxuriöser Güte, wie die In-
fanterie sie nie zu sehen bekommen hatte.

Der Leiter dieses Depots, ein Oberfeldwebel der Luftwaffe, kam dick,
schwitzend und unglücklich zu mir, er werde von allen Seiten bestohlen;
mit seinen wenigen Leuten könne er das Depot nicht mehr bewachen.
Ich schlug ihm vor, ich wolle das Depot gegen Quittung übernehmen.
Er war einverstanden. Die Männer begannen, die Sachen auf unseren
Transportzug zu verladen. Nach einer Stunde tauchte ein von irgend
jemand alarmierter Hauptmann der Feldgendarmerie auf dem Bahnhof auf.

Gehrmann erschien, etwas blaß, und meldete mir, der Hauptmann wolle
Tatbericht wegen Plünderung durch die Kompanie machen. Das war auf
jeden Fall eine gefährliche Situation. Wenn der Feldgendarm bösartig war,
konnte ich sehr schnell ein statuiertes Exempel werden. Ich wollte meinen
Mantel anziehen.
»Nein, auf keinen Fall den Mantel!« warnte Gehrmann.
»Warum nicht?«
»Wegen des Lametta! Der Hauptmann hat genau so einen sächsischen
Orden wie Sie.«
Mit Lametta bezeichneten die Soldaten die Sammlung der Orden, die einer
auf der Brust oder im Knopfloch trug. Wenn ich die Situation gerettet habe,
so verdanke ich das der weiland hochseligen Majestät von Sachsen und der
Intelligenz meines Hauptfeldwebels.

Wenn zwei Offiziere in einer so gespannten Situation sich begegneten, so
kalkulierten sie, noch ehe sie einander ins Auge sahen, mit einem kurzen Blick
die Dekorationen des Kontrahenten. Der Hauptmann der Feldgendarmerie trug
in der Tat denselben sächsischen Albrechtsorden zweiter Klasse mit Schwertern
wie ich. Den meinen hatte ich einmal in Rethel bekommen, 1917, als ganz junger
Ordonnanzoffizier beim Regimentsstab des königlich sächsischen Leibgrenadier-
regiments, für die Zusammenstellung eines Besichtigungsfrühstücks, über das
sich Seine Exzellenz der kommandierende General äußerst anerkennend geäußert
hatte. Wofür der Hauptmann seinen Albrechtsorden bekommen hatte, habe ich
ihn nicht gefragt. Ich fragte ihn nach seinem Truppenteil im ersten Weltkrieg.

Auf dieser Basis konnte es natürlich keinen Tatbericht wegen Plünderung mehr
geben. Wir schlossen einen Kompromiß. Die Kompanie sollte die nach meiner
Ansicht übernommenen, nach seiner Ansicht geplünderten Gegenstände auf
dem Bahnsteig wieder zusammentragen.